Regulation des Kapitalismus

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Können die Probleme des Kapitalismus durch Regulation gelöst werden? Diese Frage lässt sich so pauschal wohl kaum beantworten, da es darauf ankommt, was man sich denn von einer Regulation erwarten würde.

Generell scheint diese Annahme heute jedoch in der Defensive zu sein, da politisch zumeist die Deregulation des Kapitalismus auf der Tagesordnung steht und in früheren Kämpfen durchgesetzte sozialstaatliche und regulatorische Element zunehmend abgebaut werden. Frühere wohlfahrtsstaatliche und sozialstaatliche Ansätze waren in aller Regel also nicht so offensichtlich erfolgreich, dass sie heute nicht in Frage gestellt oder zumindest erfolgreich verteidigt werden könnten.

Liegt das nur darin, dass die Interessenvertretungen der arbeitenden (und arbeitslosen) Bevölkerung versagt haben und die Interessenpolitik der Kapitalist/innen erfolgreicher waren? In dem Fall wäre die Entwicklung zu einem zunehmend deregulierten Kapitalismus umkehrbar. Oder gibt es tiefere Gründe für die Umgestaltung des Kapitalismus seit den 1970er Jahren, die eine solche Umkehrung unwahrscheinlich machen?

Fordismus

Der Fordismus zeichnet sich aus durch:

  • Lohnentwicklung in Höhe von Produktivitäts-Fortschritt plus Inflationsrate, so dass die Arbeiter/innen an der Zunahme des gesellschaftlichen Wohlstands anteilig beteiligt werden;
  • weitgehende Vollbeschäftigung;
  • standardisierte Massenproduktion und -konsumption von Konsumgütern;
  • oft lebenslange Anstellung bei demselben Arbeitgeber.

Entwickelt wurde diese Regulation des Kapitalismus nach dem ersten Weltkrieg, erste Ansätze wurden nach der Weltwirtschaftskrise verwirklicht. Zum einen im amerikanischen "new deal" aber auch in der Wirtschaftspolitik der Nazis. Ihren Höhepunkt erreichte diese Form nach dem Krieg in den 50er und 60er Jahren.

Postfordismus

Seitdem ist es im sog. Postfordismus zu einer zunehmenden Flexibilisierung der Produktionsverhältnisse gekommen. Die klassische Massenproduktion des immer gleichen Produkts wird durch die flexiblere Produktion zahlreicher Produktvarianten ersetzt, zudem bleiben Produkte weniger lange unverändert auf dem Markt. Für diese Flexibilisierung der Produktion gibt es wohl primär zwei Gründe: Zum einen wurde sie nötig, nachdem sich der Markt für die fordistischen Massenprodukte zunehmend gesättigt hatte und mehr Produktvielfalt und Innovation nötig wurde, um die Konsument/innen zum Umsteigen auf Nachfolgeprodukte zu bewegen. Zum anderen wurde sie möglich durch technische Fortschritte, die eine flexiblere Anpassung und Rekonfiguration der Produktionsanlagen erlaubten.

Deshalb und aufgrund des technischen Fortschritts mit steigender Automatisierung und Rationalisierung wird die „dröge“ Fließbandarbeit, die für den Fordismus typisch war, seltener; aber aus den selben Gründen weichen auch die seinerzeit üblichen oft lebenslangen Anstellungen "flexibleren" Arbeitsverhältnissen ohne langfristige Absicherung. Sofern doch noch Fließbandarbeit gebraucht wird, wird sie oft in „Billiglohnländer“ in der „Dritten Welt“ oder im ehemaligen Ostblock verlagert, was aufgrund der modernen Kommunikationstechnik praktikabel geworden ist (Globalisierung des Arbeitsmarkts).

In den Industrieländern werden deshalb verstärkt hoch qualifizierte Arbeitnehmer nachgefragt, während alle anderen es schwer haben, Arbeit zu finden. Dementsprechend kann von Vollbeschäftigung heute keine Rede mehr sein, und es gibt wenig Anzeichen dafür, dass sich das in absehbarer Zeit wieder ändern könnte.

Zurück zum „Erfolgsmodell“?

An diesem geschichtlichen Abriss wird deutlich, dass Vollbeschäftigung und meist lebenslange Arbeitsplatzsicherheit im Fordismus nicht das Ergebnis einer den Kapitalist/innen erfolgreich aufgezwungenen Regulation waren, sondern sich aus dem Umständen der Produktion selbst ergaben. Solange Firmen über Jahrzehnte hinweg dieselben (oder nur leicht weiterentwickelten) Massenprodukte unters Volk werfen konnten, hatten sie keinerlei Grund dafür, erfahrene und für die Produktion dieser Produkte benötigte Mitarbeiter zu entlassen. Die Arbeitsplatzsicherheit war kein widerwillig eingeräumtes Zugeständnis an die Arbeitnehmenden, sondern sie entsprach damals den Interessen der Firmen selbst (und sobald sie aufhörte, das zu tun, wurde sie ja auch gekippt).

Ähnlich ergab sich die (ja auch nur einige Jahrzehnte andauernde) Phase der weitgehenden Vollbeschäftigung nicht etwa aus einer regulatorischen Politik, die die Firmen zur Schaffung von Arbeitsplätzen gezwungen hätte (wie sollte das auch gehen?), sondern sie resultierte im Wesentlichen aus der (im Vergleich zu heute) niedrigen Produktivität in Kombination mit einer starken Phase starken Wirtschaftswachstums, als sich der Großteil der Bevölkerung erstmals mit den durch die Massenproduktion ermöglichten billigen Konsumgütern eindecken konnte und zudem die Schäden des Zweiten Weltkriegs beseitigt wurden.

Anders sieht es mit der Anpassung der Löhne bei Produktivitätssteigerung aus. Diese entsprach natürlich direkt nicht den Interessen der Kapitalist/innen und kann auch nicht durch die Umstände der Produktion erklärt werden, sie kann also als Ergebnis einer erfolgreichen Interessenvertretung der arbeitenden Bevölkerung bzw. eines (später aufgekündigten) Konsenses zwischen Arbeitgeber/innen und Arbeitnehmer/innen, beide Seiten anteilig an der Zunahme des gesellschaftlichen Reichtums zu beteiligen, verstanden werden. Für einen solchen Konsens dürften aus Sicht der Kapitalist/innen damals die Tatsache gesprochen haben, dass in Zeiten weitgehender Vollbeschäftigung die Arbeitnehmer/innen in der besseren Verhandlungsposition sind und die Vermeidung größerer „Arbeitskämpfe“ deshalb in ihrem eigenen Interesse lag (während sie in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit vor solchen Auseinandersetzungen wenig Angst haben müssen, da sie leicht auf die „Reservearmee“ der Arbeitslosen zurückgreifen können, und die Angestellten dies wissen). Möglicherweise kam auch die Sorge vor revolutionären Veränderungen dazu, solange der Realsozialismus noch als ernstzunehmende gesellschaftliche Alternative erschien – für die Kapitalist/innen war es sicherer, ihre Privilegien durch die Abgabe größerer „Kuchenstücke“ zu schützen anstatt den Verlust der gesamten „Bäckerei“ zu riskieren.

Es dürfte also kein Zufall sein, dass dieser Konsens aufgekündigt wurde, als die Arbeitslosigkeit in den 1970er Jahren zu steigen zu begann, zumal sich gleichzeitig der Realsozialismus mit der Niederschlagung des Prager Frühlings und verwandter Reformbewegungen endgültig diskreditiert hatte. Was aus Kapitalistensicht vorher eine vernünftige Strategie der Risikoreduzierung gewesen war, war nun zum unnötigen „Overhead“ geworden.

Es ist deshalb illusorisch zu glauben, heute durch moralische Appelle oder politische Richtlinien wieder zu einem solchen Konsens zur weitergehenden Teilung des gesellschaftlichen Reichtums kommen zu können. Nicht „Nettigkeit“, sondern rationale Abwägungen haben das Verhalten der Unternehmen bestimmt, damals wie heute. Was damals aus unternehmerischer Sicht vernünftig war, ist es heute nicht mehr, und solange die Arbeitslosigkeit nicht wieder extrem zurückgehen sollte (wofür es keinerlei Anzeichen gibt) oder eine neue ernstzunehmende außerkapitalistische Alternative am Horizont erscheint, dürfte sich daran auch nichts ändern.

Der Fordismus ist somit nur eine Phase des Kapitalismus, die heute Geschichte ist. Er ist nicht das Beispiel für eine erfolgreiche – und die Grunde auch heute wiederholbare – Regulierung des Kapitalismus, als das er manchmal dargestellt wird.

Das sagt zwar noch nichts Grundsätzliches über die prinzipielle Möglichkeit oder Unmöglichkeit anderer, (post-)modernerer Formen von reguliertem Kapitalismus aus – wie sie z.B. in der Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen aufscheinen. Es sollte jedoch skeptisch stimmen, dass es aus der Vergangenheit keine Beispiele für eine Regulation gibt, die sich den Interessen der Kapitalist/innen langfristig erfolgreich widersetzt hätte – wie wir gesehen haben, verstieß der Fordismus nicht gegen diese Interessen. Grundeinkommen und ähnliche Reformideen haben also am ehesten dann Chancen, wenn sie eine Form annehmen, die den Kapitalist/innen zugute kommt – doch dass sie in solcher Form noch im Interesse der restlichen arbeitenden und nicht-arbeitenden Bevölkerung wären, darf getrost bezweifelt werden...