Sozialistische Warenproduktion ist auch keine Alternative

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Von den drei Grundprinzipien des KapitalismusWarenproduktion, Privateigentum an Produktionsmitteln, Märkte zum Warenaustausch – wurden üblicherweise vor allem die letzten beiden für die Probleme des Kapitalismus verantwortlich gemacht. Das führte zum Versuch des Realsozialismus, Privateigentum durch Verstaatlichung der Produktionsmitteln und Märkte durch zentralisierte Planung der Waren-Produktion und Verteilung zu ersetzen. Vom Realsozialismus nicht angetastet wurde jedoch das Prinzip der Warenproduktion. Allerdings ist es dieses Prinzip, das für wesentliche Probleme des Kapitalismus verantwortlich ist – solange man nur die anderen Grundprinzipien (Privateigentum, Märkte) aufgibt, verändern sich diese Probleme zwar auf teilweise bizarre Weise (wie einst in der Sowjetunion und der DDR zu beobachten), sie verschwinden aber nicht. Das war (neben der politischen Unfreiheit) der wirtschaftliche Grund dafür, dass der Realsozialismus gescheitert ist.

Das größte Problem der Warenproduktion, das auch im Realsozialismus bestehen blieb, ist der Interessengegensatz zwischen Produzent/innen und Konsument/innen. Im Kapitalismus sitzen dabei zahlungskräftige Konsument/innen am längeren Hebel, da sie sich dank des Marktes für die Waren, die ihren Bedürfnissen am besten zu entsprechen scheinen, entscheiden können. Die Produzent/innen haben keine andere Wahl, als sich dem zu fügen, wenn sie nicht riskieren wollen, der kapitalistischen Konkurrenz zum Opfer zu fallen (das gilt allerdings nicht mehr oder nur noch eingeschränkt für monopolistische und oligopolistische Märkte, wo die Wahlmöglichkeiten der Konsumenten einschränkt sind). Der Kapitalismus stellt somit zumindest sicher, dass den kaufkräftigen Kund/innen ein gutes Warenangebot zur Verfügung steht – auch wenn er gleichzeitig dafür sorgt, dass zahlreiche Menschen nicht über die nötige Kaufkraft verfügen, um davon viel zu haben.

Dagegen sitzen in der realsozialistischen Planwirtschaft die Produzent/innen am längeren Hebel, da aufgrund der geplanten Verteilungsprozesse die Konsument/innen mit den ihnen zugeteilten Waren vorlieb nehmen müssen, ob sie wollen oder nicht, da ihnen keine Alternativen zur Verfügung stehen. Während im Kapitalismus der Gebrauchswert ihrer Produkte für die Produzenten nur – aber immerhin – ein „notwendiges Übel“ ist, können sie ihn in der Planwirtschaft nahezu komplett ignorieren, da die Konsumenten keine andere Wahl haben als selbst weitgehend unbrauchbare Produkte zu akzeptieren. Beschwerden der Konsument/innen bei der zuständigen Kontrollinstanz sind natürlich möglich, dürften aber nicht annähert so effektiv sein wie die im Kapitalismus gegebene Möglichkeit der „Abstimmung mit den Füßen“. An die Stelle des abstrakten „Zwangs zum Erfolg“ im Kapitalismus, wo Bankrott und Verlust des Arbeitsplatzes und darauffolgend Verelendung drohen, tritt eine Bürokratie, die nur appellieren und drohen kann („Zuckerbrot und Peitsche“) und zudem kaum effektive Sanktionierungsmöglichkeiten hat (da der Staat ja sowohl Kontrollinstanz wie auch Eigentümer aller Betriebe ist und sich letztlich ins eigene Fleisch schneiden würde, wenn er gegen diese vorgeht).

Dass Produzent/innen somit keinen echten Grund haben, sich um die Qualität ihrer Produkte zu bemühen, führt dazu dass in vielen Fällen minderwertige oder sogar defekte Waren produziert werden, die dann von den Kund/innen (die sie mangels Alternativen ja abnehmen müssen, sofern sie auf das entsprechende Produkt nicht ganz verzichten wollen), erst aufwendig repariert (und bis das möglich ist, gelagert) oder im Extremfall gleich ausgeschlachtet (einzelne Teile könnten ja nochmal nützlich sein) und entsorgt werden müssen.

Das führt zu einem Mangel an tatsächlich brauchbaren und einsatzfähigen Produkten. Zudem haben die betroffenen Kund/innen – sofern sie selbst Produzent/innen sind – kaum eine andere Wahl, als nun ihrerseits an der Qualität der hergestellten Waren zu sparen, da ja ihre Produktivität durch nicht oder schlecht funktioniere Maschinen reduziert ist und ihre personellen Kapazitäten über Erwarten durch notwendige Reparaturen oder Ersatzteilsuche gebunden sind. An der Qualität kann gespart werden, ohne dass es direkte Konsequenzen hat (für die Produzenten), während die Quantität (Anzahl) der herzustellenden Produkte ja durch die zentralisierte Planung vorgegeben wird – eine Nicht-Erfüllung des Plans fällt negativ auf und kommt deshalb nur als letztes Mittel (nachdem die Qualität schon möglichst weit abgesenkt wurde) in Betracht. In jedem Fall führen beide Möglichkeiten (Absenken der Qualität wie der Quantität) zu einer weiteren Zunahme des Mangels.

Diese Mangelwirtschaft führt zur Notwendigkeit zu horten, Dinge anzusammeln, die man derzeit gar nicht gebrauchen kann, aber hofft, in Zukunft als Ersatzteile oder Tauschgegenstände einsetzen zu können. Dies verstärkt den Mangel natürlich noch mehr, da diese Dinge somit denjenigen, die sie gerade gebrauchen könnten, entzogen werden.

Für die Menschen führt die Mangelwirtschaft dazu, dass sie mit dem Geld, das sie verdienen, mangels verfügbarer Waren nicht viel anfangen können (oder höchstens mit sehr viel Geduld, wie in der DDR bei den berüchtigten langen Warteschlangen und bei Wartezeiten von schließlich über 15 Jahren nach Bestellung eines Autos oder Telefonanschlusses). Während es im Kapitalismus vielen Menschen an einem hinreichend gut bezahlten Arbeitsplatz und damit an Kaufkraft für die im Überfluss vorhandenen Produkte fehlt, mangelt es im Realsozialismus unmittelbar an brauchbaren Produkten, so dass die verfügbare Kaufkraft verpufft. In beiden Systeme bleiben Menschen somit von vielen Möglichkeiten der Bedürfnisbefriedigung abgeschnitten – dasselbe Problem äußert sich auf unterschiedliche Weise.

Diese Argumentation basiert im Wesentlichen auf Robert Kurz Buch Der Kollaps der Modernisierung (wo es weitere Details und Belege gibt). Ihr Ziel ist es, deutlich zu machen, dass das schlechte Funktionieren und der schließliche Untergang der realsozialistischen Systeme nicht an mangelhafter Umsetzung einer an sich guten Idee lag, sondern sich als nahezu unvermeidliche Konsequenz aus dem Paradox einer Warenproduktion ohne Markt ergab. Wer den Kapitalismus abschaffen will, aber am Konzept der Warenproduktion, d.h. einer auf dem Tauschwert statt dem Gebrauchswert aufbauenden Produktion und Verteilung, festhält, hat keine Besserung der Verhältnisse zu erwarten.

Literatur

  • Robert Kurz: Der Kollaps der Modernisierung. Reclam, Leipzig 1994. ISBN 3379015032.